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Während der großen europäischen Krisen der letzten Jahre, der Finanz- und der Geflüchteten-Krise, wurde jeweils über einen Anstieg von Vorurteilen und Dis kriminierung, aber auch über ein hohes Maß an solidarischem Verhalten berichtet. Um die Ursachen dieses scheinbaren Widerspruches aufzudecken, untersucht diese Studie, wie sich Zufriedenheit, die Wahr nehmung eines Gruppenkonfliktes, die soziale Unterstützung und die empfundene Bedrohung auf die soziale Distanz, Vorurteile und Solidarität sowie das Wellbeing auswirken. Die Daten wurden im Lock-down der Covid-19-Krise in Deutschland erhoben und stellen daher eine selten gute Grundlage für Einstellungen von Menschen in Krisen dar. Die Ergebnisse zeigen, dass die Wahrnehmung der Krise als ein Gruppenkonflikt und die Zufriedenheit die allgemeine Solidarität steigern. Das Bedrohungsempfinden wirkt sich negativ auf den Gruppenkonflikt gegenüber Personen mit Migrationshintergrund aus, welcher zu mehr Vorurteilen und einer größeren sozialen Distanz führt. Darüber hinaus sind Personen in einer Partnerschaft und mit Kindern in der Krise zufriedener, unabhängig von der Wohnsituation und vom Geschlecht.

Die Bedeutung von Solidarität
Seit Mitte März 2020 bestimmt das Virus Covid-19 das Leben in Deutschland, die öffentliche Diskussion und einen Großteil der medialen Berichterstattung. Neben täglichen Updates über die neuesten Maßnahmen zur Eindämmung der Anzahl der Infizierten in Deutschland, prägen Berichte über die (teils kuriosen) Strategien anderer Länder (insbesondere Amerika) die Nach richtenlandschaft. Erste Ergebnisse reprä sentativer Umfragen zeigen, dass die deutsche Bevölkerung im Durchschnitt verunsichert ist. In ihrer Studie zur Geflüchteten-Krise erläutert Hofmann (2016), dass die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit durch die subjektive Unsicherheit hinsichtlich des eigenen Lebens und der Zukunft des Landes sowie von der relativen Deprivation vorhergesagt wurde. Der Fokus der Studie liegt damit ausschließlich auf den negativen Folgen einer Krisensituation, obwohl auch gegenteilige Effekte denkbar sind. Nohlen (2002) definiert Solidarität als eine Verpflichtung zwischen den Mitgliedern einer Gruppe oder Organisation, gegenseitig füreinander einzustehen. Wem gegenüber man sich noch solidarisch verhalten muss und wem nicht ist dabei nicht festgesetzt, sondern wird im gesellschaftlichen Diskurs immer wieder neu ausgehandelt (Hofmann, 2016). Insbesondere in Krisenzeiten wird vermehrt die Frage nach sozialer Zugehörigkeit gestellt, denn dadurch, dass eine Grenze beispielsweise zwischen Bürgern „erster und zweiter Klasse“ gezogen wird, werden marginalisierte soziale Gruppen ausgeschlossen und ihr Anrecht auf bestimmte gesellschaftliche Ressourcen aberkannt. Hofmann (2016) bezeichnet Vorurteile daher als die psychologische Grundlage für Solidaritätsbrüche.

Krise und Vorurteile als menschliche Grundkonstante?
Nach Aronson et al. (2008) sind Vorurteile eine inkorrekte, negative Generalisierung von Einstellungen und Verhaltensweisen über Gruppen von Personen hinweg, bei der die „Andersartigkeit“ sowie die affektive Ablehnung betont werden. Viele Vorurteile sind kulturell verankert, sodass sie als normal betrachtet und von Gesellschaftsmitgliedern unkritisch übernommen werden (Weiss, 2003). Daher muss betont werden, dass jeder Mensch Vorurteile hat und sich diese keineswegs auf den politisch rechten Rand der Gesellschaft beschränken. Dennoch führen Vorurteile zu negativeren Einstellungen gegenüber Fremden und eher zu diskriminierendem Verhalten (negativem Verhalten gegenüber der Outgroup aufgrund der Gruppenzugehörigkeit), wie etwa dem Entzug der Solidarität in einer Krise. Bosch (2015) bezeichnet Krisen als conditio humana und impliziert, dass damit auch periodisch auftretende Unsicherheit Teil des menschlichen Lebens ist. Auf Grundlage bisheriger Forschung ist es naheliegend anzunehmen, dass folglich, unter der Prämisse, dass sich die Aussagen kulturübergreifend verallgemeinern lassen, auch regelmäßige Zunahmen von Vorurteilen und Diskriminierung in einer Gesellschaft Teil des menschlichen Lebens sind.

Krisen verstärken Gruppenkonflikte, aber nicht immer!
Um die Ergebnisse von Hofmann (2016) für die Covid-19-Krise zu prüfen und um einen positiv orientierten Ansatz zu erweitern, wurde eine quantitative Querschnittsstudie mit einer Stichprobe von 310 Erwachsenen verschiedener Alters- und Einkommensklassen durchgeführt. Die Ergebnisse aus den vorangegangenen Krisen können nur teilweise bestätigt werden. Die Wahrnehmung eines Gruppenkonfliktes in der Krise und das Wellbeing beeinflussen die Solidarität gegenüber marginalisierten Gruppen. Die Wahrnehmung eines Gruppenkonfliktes in der Krise verstärkte die soziale Distanz zu Outgroups und Vorurteile. Es zeigt sich jedoch, dass die empfundene Bedrohung keinen direkten Effekt hat. Dar über hinaus hat sie einen schwachen negativen Effekt auf den empfundenen Gruppenkonflikt, was den Erwartungen der Studie widerspricht. Betrachtet man die Corona-Krise und die damit verbundenen Unsicherheiten als Stressereignis, so erscheint es sinnvoll zur Interpretation der Ergebnisse die Erkenntnisse der Forschung um Coping-Strategien von Stress miteinzubeziehen. Schwarzer, Starke und Buchwald (2004) beschreiben drei Meta-Dimensionen des Copings: die aktiv-prosoziale Ebene, die aktiv-antisoziale und die aktiv-passive. Die aktiv-prosoziale Dimension beschreibt das Suchen von Unterstützung im sozialen Umfeld und die gemeinsame Bewältigung von Stress. Die aktiv-antisoziale Dimension beschreibt das Coping mit Emotionen durch aggressives Verhalten. Der aktiv-passive Ansatz beschreibt eine Auseinandersetzung mit dem Problem, ohne den sozialen Kontext miteinzubeziehen (Balz, 2012). Betrachtet man Solidarität beziehungsweise soziale Distanz und Vorurteile als Ergebnis des Copings mit dem Stress in der Krise, scheint es naheliegend, dass verschiedene Strategien mit der Unsicherheit umzugehen diese Ergebnisse bestimmen.

Personen mit Partner und Kind sind zufriedener in der Krise
Des Weiteren hängt die Zufriedenheit in der Covid-19-Krise damit zusammen, ob jemand einen Partner oder Kinder hat, nicht aber mit der Wohnsituation und dem Geschlecht, woraus sich insgesamt einige praktische Implikationen bezüglich der Auswirkungen sozialer Isolation ableiten lassen. Es gibt keine Interaktionseffekte. Modelle der Stressbewältigung (vgl. Lazarus, 2005; Schwarzer et al., 2004) benennen soziale Kontakte als Ressource für das erfolgreiche Coping beziehungsweise die Suche nach Unterstützung als Coping-Strategie. Dabei ist die Art des sozialen Kontaktes nicht determiniert. Auch Paare, die nicht zusammenleben, und sich folglich in Person selten bis gar nicht sehen, scheinen zufriedener zu sein als solche ohne Partner. Dies legt nahe, dass soziale Unterstützung auch durch remote Kontakte aufrechterhalten werden kann. Diese Schlussfolgerung sollte in weiteren Studien elaboriert werden, um die Konsequenzen der Covid-19-Krise auf das allgemeine Wohlbefinden abzuschätzen und Gruppen zu identifizieren, die besonderer Unterstützung bedürfen, wenn sie isoliert sind.
Darüber hinaus zeigt sich, dass sich die Zufriedenheit positiv auf die Solidarität auswirkt sowie negativ auf den Gruppenkonflikt. Die Interpretation dieser Ergebnisse impliziert, dass die Konflikttheorie der Vorurteilsforschung eine Lücke aufweist. Verunsicherung scheint lediglich dann zu stärkerer kognitiver und affektiver Ablehnung einer Outgroup zu führen, wenn ein dementsprechender, antisozialer Coping-Ansatz gewählt wird. Wie das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit nach Heitmeyer (2011) nahelegt, sollten diese negativen Konsequenzen nicht nur für Vorurteile gegenüber Personen mit Migrationshintergrund auftreten, sondern auch für Vorurteile gegenüber anderen Outgroups. Zukünftige Studien sollten überprüfen, inwieweit auch alters- und geschlechtsbezogene Vorurteile in Krisensituationen zunehmen. Dies wäre besonders im wirtschaftlichen Kontext von großer Bedeutung. Wenn negative Intergruppeneinstellungen in stressigen Situationen zunehmen, dann stünden Normen für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen immer dann auf der Kippe, wenn kritische Phasen in Projekten anstehen oder gesellschaftliche Dynamiken einzelne Existenzen gefährden. Besonders, wenn es auf den ersten Blick um die Verteilung von „begrenzten Ressourcen“ wie Arbeitsplätze geht, scheinen Auswirkungen von Stress auf eine faire Beurteilung naheliegend.

Petia Genkova, Prof. Dr. phil. habil., ist Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Hochschule Osnabrück und ist Mitglied im DAB-Bundesvorstand.
Henrik Schreiber (B.Sc.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Osnabrück im Fachbereich Wirtschaftspsychologie.

Literaturverzeichnis
•Aronson, E., Wilson, T. D. & Akert, R. M. (2008). Sozialpsychologie. München: Pearson Studium.
•Balz, H.J. (2012) Prekäre Lebenslagen und Krisen. Strategien zur individuellen Bewältigung. In: Huster EU., Boeckh J., Mogge-Grotjahn H. (Hrsg.) Handbuch Armut und Soziale Ausgrenzung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
•Bosch, A. (2015). Unsicherheit, Krise und Routine. Paragrana, 24(1), 209-220.
•Buchwald, P., Schwarzer, C., & Hobfoll, S. E. (2004). Stress gemeinsam bewältigen. Göttingen: Hogrefe.
•Heitmeyer, W. (2011). Deutsche Zustände. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
•Hofmann, J. (2016). Abstiegsangst und Tritt nach unten? Die Verbreitung von Vorurteilen und die Rolle sozialer Unsicherheit bei der Entstehung dieser am Beispiel Österreichs. In W. Aschauer, E. Donat und J. Hofmann (Hrsg.) Solidaritätsbrüche in Europa (S. 237-257). Wiesbaden: Springer VS.
•Lazarus, R. S. (2005). Stress and emotion: A new synthesis. Berlin: Springer Publishing Company.
•Nohlen, D. (2002). Lexikon der Politikwissenschaft Bd. 2: N-Z: Theorien, Methoden, Begriffe. München: Campus.
•Schwarzer, C., Starke, D. & Buchwald, P. (2004). Die Diagnose multiaxialer Stressbewältigung mit dem Multiaxialem Stressbewältigungsinventar (SBI). In P. Buchwald, C. Schwarzer & S. E. Hobfoll (Hrsg.), Stress gemeinsam bewältigen. Ressourcenmanagment und multiaxiales Coping (pp. 60–73). Göttingen: Hogrefe.
•Weiss, H. (2003). A Cross-national Comparison of nationalism in Austria, the Czech and Slovac Republics, Hungary, and Poland. Political Psychology, 24(2), 377–401.

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